Ausflug zum Unteraargletscher im Grimselgebiet

Wir trafen uns in Interlaken Ost und fuhren von dort gemeinsam zum Hospiz auf dem Grimselpass. Um 10.15 marschierten wir in Richtung Unteraargletscher los. Wir hatten uns entschieden, einfach einmal drauflos zu ziehen und die kraftvolle Natur um uns herum auf uns einwirken zu lassen, bis wir von einem Ort besonders inspiriert werden und dort dann eine Wahrnehmung zu machen.

Über die Staumauer gelangten wir auf die andere Seite des Grimselsees und folgten dem schmalen Bergweg, der mal steil hinauf, dann steil hinunter dem Grimselsee entlang bis zum Gletscher führte. Es war kalt und der Himmel wolkenverhangen. Einzig am Horizont, über unserem Ziel, öffneten sich die Wolken und der blaue Himmel zeigte sich vielversprechend.

Das Geräusch von Wasser war unser steter Begleiter, da unzählige kleine Rinnsale bis zu grösseren Bächen über die für das Grimselgebiet so typisch grün-rot farbigen glatten Felswände in den See flossen. Wir hörten auch das Zwitschern zahlreicher Vögel und das Pfeifen von Murmeltieren. Nach circa einer Stunde standen wir vor einem tosenden Wasserfall. Wir liessen die Kraft auf uns einwirken und schauten uns um. Unmittelbar daneben lag ein kleiner ruhiger Teich und dahinter schien eine Treppe in den Himmel hinauf zu führen. Sofort war uns allen das weitere Vorgehen klar: Von hier aus folgt jede/jeder über die „Himmelstreppe“ dem Bergweg zum Gletschertor im eigenen Tempo und hört der Natur zu.

Wir fühlten uns alle bereits eingestimmt und setzten ohne Einstimmungsritual unseren Weg fort. Die nächsten 1 ½ Stunden ging jeder in seinem Tempo dem Gletschertor entgegen. Die Vielfalt der Natur auf rund 2000 m Höhe war eindrücklich. Mal wanderten wir durch karge Felslandschaften, dann durch Birken- und Arvenwäldchen, dann durch Sumpfgebiete mit wunderschönen Blumen und Pflanzen. Sogar Schmetterlinge und Hummel sahen wir. Immer weiter zog es uns dem Gletschertor entgegen, auch wenn es noch nicht in Sicht war.

Und dann, nach einer Kurve war es soweit: Plötzlich erblickten wir am Ende eines grossen Flussdeltas das bläulich schimmernde Gletschertor des Unteraargletschers. Hier entspringt also der eine Teil der Aare.

Leider reichte die Zeit nicht aus, um bis zum Gletschertor zu marschieren. Deshalb setzen wir uns am Ufer des Flussdeltas hin und genossen unser Picknick aus dem Rucksack, während wir das Gletschertor im Blickfeld hatten. Wir waren alle sehr beeindruckt von der Schönheit und Kraft dieses Ortes. Und wir hatten auch alle von der Natur einiges erfahren.

Individuelle Wahrnehmung während 1½ stündigen Wanderung

Hier oben herrscht eine spezielle Kraft, eine sehr urtümliche Kraft. Sie ermöglicht eine sofortige und tiefe Verbindung mit der Natur. Die empfangenen Bilder und Botschaften hinterliessen eine Gefühl der Dankbarkeit und Erfüllung. Der schmale, unebene und doch stets klar sichtbare Bergweg führte mal mehr, mal weniger steil über Wasser, Wurzeln, Moos und Steine. Er erforderte Ruhe, um seinen eigenen Rhythmus zu finden, Aufmerksamkeit, um nicht zu straucheln, Vertrauen, um den Fuss auf wacklige Steine zu setzen und zu wissen, dass das Gleichgewicht gehalten werden kann. Er erforderte, sich zu zentrieren, gegen innen zu lauschen und mit allen Sinnen wahrzunehmen.

Trotz Achtsamkeit schritten wir flott voran, machten keine Pause – es zog uns richtiggehend dem Gletschertor entgegen. Wir wichen kaum vom Weg ab, der sich immer weiter ins Tal hinein schlängelte. Es war am einfachsten, diesem gemachten Weg zu folgen. Denn hätten wir einen eigenen Weg hier oben überhaupt gefunden? Ist es erforderlich, dass jeder immer einen eigenen Weg geht? Wege verbinden ja auch, führen Menschen zusammen, ermöglichen Kommunikation und Entwicklung. Gut, dass es immer wieder Wege gibt, über die wir uns verbinden und entwickeln können. Unser Lebensweg sollte eine Kombination von eigenen Wegen und gemeinsamen Wegen darstellen. Unweigerlich fühlten wir auch Respekt den Menschen gegenüber, die diesen Weg gebaut und zum Teil aus dem Felsen herausgeschlagen hatten. Welch ein Kraftakt!

Am Weg entlang ist ein Baum zu sehen, der zum Teil abgestorben ist, zum Teil aber auch noch sehr vital wirkt. Er scheint zu sagen, dass nicht immer alles perfekt sein muss, um etwas bewirken zu können; dass wir uns vom äusseren Schein nicht trügen lassen sollten; dass der lebendige Teil immer noch genügend Kraft hat, um etwas zu bewirken.

Oben auf den Felswänden, oberhalb der eigentlichen Baumgrenze, klammert sich in regelmässigen Abständen jeweils ein Baum an den Fels und trotzt Wind und Wetter. Wie Wächter erheben sie diese Bäume in den Himmel und strahlen Kraft und Ruhe aus. Sie scheinen uns zu sagen: Auch wenn wir einzeln dastehen, können wir gemeinsam etwas bewirken und wachen über dieses wunderschöne Gletschertal.

Die Natur empfängt uns Menschen mit offenen Armen, schenkt uns ihren Reichtum, fordert nichts. Sie ist einfach da – leise und offen für alle. Wir Menschen haben die Tendenz, dies als selbstverständlich zu nehmen, zu konsumieren ohne hinzuhören. Wir nutzen hier oben die Wasserkraft für ein Kraftwerk. Haben wir jemals gefragt? Haben wir jemals danke gesagt? Die Natur gibt uns gerne und freigiebig, aber es ist wichtig, dass wir Menschen wieder lernen die Natur zu respektieren, um Erlaubnis zu fragen und danke zu sagen.

Dem Wasser hier oben geht es gut. Es hat seine Kraft nicht verloren. Es nimmt es uns Menschen auch nicht übel, dass wir es stauen, um Energie zu gewinnen. Es ist weise und grosszügig. Der Stausee hier oben ermöglicht dem Wasser noch einen Moment der Ruhe, bevor es seine lange Reise in den Atlantik antritt. Das Wasser büsst vom Gletschertor bis nach Meiringen auch noch nicht viel von seiner Kraft ein, da die Aare nach den Staumauern bis durch die Aareschlucht bei Meiringen ihrem natürlichen Flusslauf folgen kann und von zahlreichen Bächen und Flüssen genährt wird. Die Zuflüsse fliessen von den Bergen ungehindert in die Aare hinein und versorgen sie immer wieder mit lebendigen, kraftvollen und inspirierendem Wasser.

Dies ändert sich erst nach der Aareschlucht – dort, wo die Aare in ein geradliniges enges und ödes Flussbett gezwängt wird. Die Aare hat zwar hier je nach Jahreszeit immer noch viel Kraft, aber es ist nicht mehr die lebendige, inspirierende Kraft, sondern einfach eine schnelle, lieblose Kraft. Und das ist das Problem! Diese Energie überträgt sich auf die Menschen. Wir hetzen rastlos durchs Leben und alles muss immer schneller gehen. Ein mäandernder Fluss hingegen lädt dazu ein, sich ans Ufer zu setzen, sich zu entspannen, Ruhe zu finden, sich inspirieren zu lassen oder mit Kindern das vielfältige Flussbett als natürliche Spielwiese nutzen. Es ist deshalb wichtig, dass mehr und mehr Flüsse und Bäche ihrem natürlichen Lauf folgen und damit revitalisiert werden. Wasser bewegt, vor allem lebendiges, kraftvolles Wasser und kann die Menschen aus der festgefahrenen, starren Haltung lösen, damit sie wieder Ideen entwickeln und vor allem die Weitsicht haben, diese auch umzusetzen.

Als erster Schritt sollten wir im Frühling 2016 ein Treffen dieser Geomantiegruppe bei der Aareschlucht organisieren. Von Innertkirchen aus betreten wir die Aareschlucht und gehen durch diese hindurch. Auf der anderen Seite bei Meiringen führen wir ein Ritual durch, das noch gemeinsam besprochen wird.

Ritual Mandala

Am Ufer, in einem sanften Zusammenfluss von zwei kleinen Bächen (Yin und Yang), gestalteten wir ein Mandala. Michael und Petra hatten unterwegs einen herzförmigen Stein gefunden, der das Zentrum des Mandalas bildete. Darauf legten wir eine Lebensblume. Den Herzstein umrundeten wir mit Steinen und Schwemmholz, welche wir hier im Flussdelta gesammelt hatten. Zuletzt legten wir nacheinander unsere mitgebrachten Steine dazu, wobei wir kurz erklärten, wo wir diese Steine gefunden hatten und was sie für uns bedeuteten. Mit diesen Gaben sagten wir stellvertretend für alle Menschen der Natur und im speziellen dem Wasser danke. Wir verbanden uns als Gruppe mit dem Mandala und liessen unsere Liebe, Wertschätzung und unseren Respekt hineinfliessen.

Nach einem kurzen Moment der Ruhe machten wir uns auf den Rückweg. Wie um uns ebenfalls danke zu sagen, riss die Wolkendecke auf und die Sonnenstrahlen wärmten uns nicht nur auf, sondern machten das Farbenspiel der Natur noch imposanter. Das Wetter hielt entgegen den Prognosen stand und erst als wir um 17.30 Uhr wieder in den Autos in Richtung Interlaken sassen, setzte der Regen ein. Wenn das nicht eine deutliche Antwort der Natur ist!

Text von Sandy Stewart